Zazen und das Denken

In den letzten Jahren habe ich mich oft gefragt, warum ich zunehmend weniger Worte gebrauchen mag, wenn ich Zen unterweise. Neulich entdeckte ich den Grund: Weil das, worauf ich hinweisen will, jenseits der Worte/Gedanken ist, das, worum es geht, im Grunde nicht mit Worten beschreibbar ist und alle Worte schnell auf die falsche Fährte führen können.
Doch Schweigen kann es auch nicht sein, deshalb zum Thema dieses Aufsätzchens, welches beliebte Frage bei der Zen-Meditation ist:

- Was mache ich denn nun mit meinen Gedanken beim Sitzen?

Im alltäglichen Leben befinden wir uns zumeist in unseren Köpfen, weniger im Leben selbst (das jenseits des Denkens ist), wir driften durch unsere Gedankenwelt und reduzieren das Sein auf eben diese Welt, unsere Gedanken. Wir meinen (denken) uns (in) diese Welt, denken zu sein. Wie Ihr Euch erinnert, sage ich manchmal beim Zazen „Überprüft, ob Ihr auch da seid!“, um eben darauf hinzuweisen, dass es nicht reicht, zu denken „Klar, logisch bin ich da, wo sonst?“, sondern es realisieren.
Wenn wir nun Zazen üben, wenn wir Sitzen, geht es genau darum – wahrhaftig zu sein, und nicht zu denken. Vergesst nicht, das Denken ist nie das Sein selbst, sondern unsere Konzepte, unsere Bilder und Konnotationen vom Sein, sozusagen unser kommentiertes Fotoalbum.
„Nicht zu denken“ bedeutet in diesem Sinne denn auch nicht, Nichtdenken zu denken, sondern die Gedanken „sein lassen“. Wenn ich beim Bild des Fotoalbums bleibe, eben nicht ein weiteres Bild mit der Untertitelung „Zen“ oder „Nichtdenken“ oder „Zazen“ einzukleben und hierzu eine weitere Fotoserie zu „schiessen“. Es gibt in der chin. Terminologie das shi shen (den nachgeburtlichen Geist, u.a. das Denken) und das yuan shen (den vorgeburtlichen Geist).
Der vorgeburtliche Geist ist reines Gewahrsein, nicht dualistisch, ist der „Buddhageist“, ist der erleuchtete Geist, ist „im Einklang mit dem Dao“. Wenn ich bei dem Bild des Fotoalbums bleibe, so ist der vorgeburtliche Geist eine beständig laufende Kamera, Ton läuft, aber kein Drehbuch, kein Kommentar – keine Interpretation.....
Unser Denken fasst nach den Dingen, versucht sie zu ergreifen, sucht nach Formen. Innerhalb des Gewahrseins aber ist nichts zu erfassen, ist keine Form. Deswegen ist alles, was innerhalb des Gewahrseins IST, für das Denken uninteressant. Es ist wie bei einem (natürlicherweise sehr dualistisch arbeitenden) Computer: Das Denken vermag auf die „Datei“, ja mehr noch, das „Software-Programm“ nicht zuzugreifen, da es bestimmte Charakteristika nicht erfüllt.
Deshalb sind wir, solange wir allein versuchen, das Sein mittels des Denkens zu „erfassen“, beständig weiter auf der Jagd, ist der Augenblick, das JETZT, langweilig, denn er hat keine Form, d.h. es gibt dazu keinen Kommentar, kein Drehbuch, es schmeckt nicht nach "mehr"....
Entdeckt, wie beim Sitzen der „hungrige Geist“ darauf wartet, dass „es“ gleich kommt, dass „es“ besser wird, dass „gleich“ etwas anderes kommt, etwas Interessanteres. Damit aber begeben wir uns fort vom JETZT und sind in unseren Gedanken, statt im jetzt und hier.